Filmplakat Everything Everywhere All at Once

9,5/10

"Selbst dieser Keks kann Kung Fu sein!" — Everything Everywhere All at Once, 2022

Everything Everywhere All at Once

Besprechung

Im Leben von Evelyn Wang (Michelle Yeoh) läuft es nicht so rund. Ihre Wäscherei steht vor dem finanziellen Ruin, ihr etwas trottelig wirkende Mann Waymond (Ke Huy Quan) will sich von ihr scheiden lassen – und Evelyn weiß davon noch nichts. Ihre lesbische Tochter Joy (Stephanie Hsu) ist eine Schande für die Familie. Evelyn kann sich damit nicht wirklich arrangieren, schiebt aber ihren Vater Gong Gong (James Hong) vor. Wenn der davon erführe, würde es ihn umbringen – also wird die Orientierung ihrer Tochter unter den Teppich gekehrt.

Und dann ist da noch die Dame vom Finanzamt. Deirdre Beaubeirdra (Jamie Lee Curtis) scheint etwas gegen Chinesen zu haben. So fühlt es sich zumindest an. Jedes Jahr hat sie etwas an Evelyn auszusetzen. Als Evelyn mit Mann und Vater bei Mrs. Beaubeirdra vorsprechen will, passiert etwas seltsames: Waymond ist plötzlich wie ausgewechselt. Er ist dynamisch, bestimmend.

Waymond erklärt ihr, dass er nicht ihr Waymond ist. Er stammt aus einem der unzähligen Parallel-Universen. Sein Universum ist das Alpha-Universum. Hier hat sich eine unglaublich dunkle, alles zerstörende Macht entwickelt, die sich nun ihren Weg durch die Universen bahnt. Waymond ist sich sicher, dass Evelyn die Eine ist, die alle retten kann. Die Alpha-Evelyn hat dazu eine Technik entwickelt, mit der sich Evelyn in die Fähigkeiten, Gedanken und Gefühle von alternativen Evelyns einklinken kann. So soll sie das Monster Jobu Tupaki besiegen.

Meinung von

Als ich den Trailer durch Zufall sah, war mir sofort klar — den Film muss ich sehen. Bekanntlich mag ich die etwas schrägeren Filme sehr gerne. Die haben in der Regel originelle Geschichten und kommen oft mit weniger aus, dabei haben sie aber stets eine Wirkung. Ich liebe Under the Silverlake oder auch Dave made a Maze. Das ist mein Ding.

Die Daniels – Dan Kwan und Daniel Scheinert – gehen mit Everything Everywhere All at Once zum zweiten Mal gemeinsam in den Regie-Ring. Also, nicht falsch verstehen, die haben schon viel zusammen gedreht, ich spreche hier von Regie-Arbeit der abendfüllenden Art. 2016 überraschten sie mit dem ebenfalls überaus skurrilen Swiss Army Man.

Everything Everywhere All at Once fängt wirr und chaotisch an. Es wird ständig Chinesisch und deutsche Übersetzung vermengt. Evelyn muss ihre Steuererklärung abgeben und die Neujahrsfeier organisieren, ihren Vater in Schach halten und sich mit ihrer Tochter herumplagen. Der Anfang des Films ist wahrlich Chaos pur. Der Zuschauer muss sich eine Weile an den Rhythmus des Films gewöhnen. Dann kommt der Teil mit dem Weltenspringen hinzu. Erst technisches Chaos, dann erzählerisches. Aber auch hier kommt man rein.

Was sich dann entfaltet ist Wahnsinn! Michelle Yeoh, die der Großteil wohl als Captain Philippa Georgiou aus der Fernsehserie Star Trek: Discovery kennen dürfte, spielt dort einen harten Antihelden, in Everything Everywhere All at Once dreht sie auf, was Emotionen anbelangt. Sie ist verzweifelt, verwirrt, panisch, verschlossen, verletzt – um schließlich sich bei der ständigen Weltenspringerei selbst zu finden.

Everything Everywhere All at Once hat etwas von einem Selbstfindungstripp, sowohl für Evelyn, als auch für den Rest der Familie, allen voran Joy. Die Figuren sind liebenswert und die Schauspieler beherrschen ihr Handwerk. Da ist es eine Freude, den Film im Kino zu sehen. Und ja, das ist tatsächlich Data aus den Goonies, der Evelyns Mann spielt. Ke Huy Quan hat nach Indiana Jones und der Tempel des Todes sowie den Goonies nicht sonderlich viel Leinwandpräsenz gehabt. Um so schöner, ihn in dieser vielschichtigen Rolle zu sehen. Er ist der leicht vertrottelte und gutgläubige Waymond, der sich von Evelyn trennen will. Er ist der selbstsichere, hoch talentierte Martial-Arts-Künstler aus dem Alpha-Universum. Er ist aber auch der distinguierte Geschäftsmann, der in einem anderen Universum von Evelyn verlassen wurde und der es zu etwas gebracht hat. Am Ende spielt sogar der Trottel-Waymond eine wichtige Rolle.

Ebenfalls großartig und eine absolute Überraschung ist Jamie Lee-Curtis. In den letzten Rollen war sie stets knallhart und immer "oben auf". In Everything Everywhere All at Once hat sie ein paar Pfunde um die Hüfte herum, Hängebrüste und eine Sehnenscheidenentzündung. Ihre Deirdre Beaubeirdra könnte das beschriebene Monster sein, tatsächlich ist sie auch nur ein Handlanger dessen. Dafür aber ganz schön angsteinflößend. Dabei ... will sie doch eigentlich auch nur geliebt werden.

Der Film ist ein absolut durchgeknallter Tripp. Schräg und damit genau mein Fall. Ich habe mich köstlich amüsiert und gestaunt über die vielen, vielen verrückten Einfälle. Die Daniels haben auch das Drehbuch geschrieben.

Unbedingt anschauen! Als ich den Film sah, wusste ich endlich wieder, warum ich Filme so gerne mag. Everything Everywhere All at Once entführt uns in fantastische Welten mit einer wunderbaren Geschichte. Diese Geschichte ist nicht einfach Science Fiction oder Drama oder Coming of Age oder Komödie. Der Film hat alles, alles was ein Multiversum — und das Leben — zu bieten hat. Auch hat er einige Referenzen zu anderen Filmen. Am witzigsten, skurrilsten, schrägsten und eigentlich auch schamlosesten ist die Anspielung an die Anfangssequenz von 2001: Odyssee im Weltraum. Echt jetzt? Das ist ein evolutionärer Sprung? Das?? Sogar Ratatouille wird durch den Kakao gezogen.

Wer den Film nicht anschaut ist blöd. So, nun ist's raus. Ich meine, wer will nicht einer Unterhaltung von Steinen beiwohnen?