Filmplakat Der seidene Faden

7,5/10

"Ich will, dass du am Boden liegst. Hilflos. Zart. Offen. Und niemand hilft dir außer mir." — Der seidene Faden, 2017

Der seidene Faden

Besprechung

Er ist einer der bedeutendsten Modeschöpfer nach der Nachkriegszeit. Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) kreiert und schneidert schon Kleider seit seinem 16. Lebensjahr. Zusammen mit seiner Schwester Cyril (Lesley Manville) lebt er in London und kleidet Königinnen, Adlige und Stars ein. Alle lieben seinen Stil. Diese Genialität hat seinen Preis. Alles muss nach bestimmten Regeln ablaufen. Reynolds, ein eingefleischter Junggeselle, hat hin und wieder Musen, die mit ihm und Cyril im Haus wohnen.

Als er ein wenig Entspannung braucht, reist er aufs Land. Hier lernt er die Kellnerin Alma (Vicky Krieps) kennen. Sofort ist er von der jungen Frau fasziniert. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Ein gemeinsames Abendessen folgt. Danach entführt Reynolds Alma in sein altes Haus, wo er Maß nimmt und ihr ein Kleid entwirft. Alma hält sich selber nicht für schön. Sie ist der Meinung zu breite Schultern zu haben, einen zu dünnen Hals und Brüste hat sie auch kaum welche. Doch für Reynolds ist sie perfekt.

Die beiden gehen nach London zurück. Alma ist seine neue Muse. Sie himmelt den Modedesigner an, der allerdings immer wieder Ausbrüche hat, wo ihm alles zu viel wird. Dann wird er barsch und verletzend. Alma bleibt die Ruhe selbst. Irgendwann entdeckt sie, dass Reynolds dann zugänglich für ihre Liebe wird, wenn er krank und verwundbar ist. Diesen Zustand kann man auch künstlich hervorrufen …

Meinung von

Paul Thomas Anderson, der mit Magnolia seinen Durchbruch hatte, drehte zehn Jahre vor Der seidene Faden bereits mit Ausnahmeschauspieler Daniel Day-Lewis There Will Be Blood. Mit dem Film gewann Day-Lewis seinen zweiten Oscar, für Der seidene Faden reichte es nicht ganz zum Oscar, aber immerhin zur Nominierung. Bei Der seidene Faden hat Anderson nicht nur die Geschichte geschrieben und Regie geführt. Er hat auch den Posten hinter der Kamera eingenommen – obwohl er nicht das richtige Handwerkszeug dafür hatte.

Der seidene Faden ist eine gelungene Studie über einen Mann, der auf seinem Gebiet ein Genie ist. All seine Energie, all seine Leidenschaft gehen von Jugend an in diese Profession. Das konnte nur klappen, weil er psychisch so gepolt ist. Wenn Alma am Frühstückstisch ihren Toast mit Butter beschmiert, ist das zu viel Unruhe für ihn. Das bringt ihn aus seinem Rhythmus, verwirrt ihn und er braucht lange Zeit, bis er sich an dem Tag wieder gefangen hat. Ich bin kein Psychologe, aber ich glaube, dafür gibt es einen medizinischen Begriff.

Wir lernen mit der Zeit, dass Reynolds viele Mauern um sich aufgebaut hat, die er benötigt, damit er funktioniert. Er muss wie ein Uhrwerk laufen, sonst kann er nicht konzentriert Schaffen. Dass nun Alma in sein Leben getreten ist, das bringt ihn mit der Zeit immer mehr aus der benötigten Ruhe. Anfangs war sie eine Faszination, ein Wesen, das ihm Inspiration schenkte. Das geht auch lange gut, aber nicht ewig. Dabei kommt es Alma nur gelegen, dass sie eine stärkere Person als Reynolds ist. Der will, der muss stark sein. Er spielt Stärke. Aber im Inneren ist er das überhaupt nicht. Alma hingegen hat diese Stärke – anders könnte sie es auch nicht mit Reynolds aushalten.

Der Film ist ruhig und selbst die Farben sind zurückgenommen und entsättigt. Es gibt kein echtes Schwarz, alles ist in seiner Farbgebung abgemildert. Lediglich die Klavier-Musik von Jonny Greenwood ist aufdringlich und dramatisch. Die Geschichte hätte leicht in eine Richtung gehen können, wo wir einen jähzornigen, aggressiven Protagonisten vor uns haben. Doch Reynolds' Beleidigungen und Verletzungen sind nie so tief, als dass es uns als Zuschauer schmerzen würde. Auch nicht, weil wir sehen, wie gut Alma damit umzugehen weiß.

Sie weiß überhaupt diesen schwierigen Mann gut zu nehmen. Alma erzählt gen Ende des Films einem befreundeten Arzt, dass sie nur Geduld haben muss. Dann kommt Reynolds immer wieder zu ihr zurück. Dann erleben beide gemeinsam eine schöne Zeit. Im Grunde ist Reynolds nur ein hungriger Junge. So begegnen sich der Künstler und die Muse und so endet auch der Film.