Filmplakat In guten Händen

8,5/10

"But my friends call me 'Molly the Lolly'." — In guten Händen, 2011

In guten Händen

Besprechung

Im viktorianischen London sucht der hochbegabte und -ambitionierte junge Arzt Dr. Mortimer Grandville (Hugh Dancy) mal wieder einen Job. Er will sich nicht von seinem besten Freund und Elektronik-Fan Lord Edmund St. John-Smythe (Rupert Everett) aushalten lassen. Dafür ist Mortimer zu stolz.

Schließlich landet er bei Dr. Robert Dalrymple (Jonathan Pryce), der eine gut funktionierende Praxis hat, in der er hysterische Frauen behandelt. Hysterie, das weiß man 1880, ist körperlich, kann durch eine Operation behoben werden, in schwacher Ausprägung reichen allerdings auch gezielt erzeugte Krämpfe. Diese verursacht der gute Arzt bei den Frauen durch gezielte Massage „der unteren Regionen“. Mortimer wird Dalrymples Assistent und ist dank seines festen Händedrucks sehr beliebt bei den Damen.

Beliebt ist er auch bei der jüngsten Tochter des Hauses, Emily Dalrymple (Felicity Jones). Eine wahre Zierde ihres Geschlechts. Weit davon entfernt eine Zierde zu sein, ist ihre ältere Schwester Charlotte (Maggie Gyllenhaal). Charlotte arbeitet in einem Armenhaus, was dem Herrn Papa sehr missfällt. Das ziemt sich nicht für eine Dame.

Doch Charlotte ist selbstbewusst und emanzipiert. Sie möchte zur „Revolution der Frauen“ etwas beitragen. Frauen werden, da ist sie sich sicher, eines Tages selber über sich bestimmen, einen Beruf ausüben und sogar wählen dürfen.

Irgendwann wird Mortimer müde. Seine Hand schmerzt vom vielen „Krämpfe erzeugen“. Da kommt ihm eine Idee. Sein Kumpel Edmund hat gerade eine vibrierenden Staubwedel erfunden …

Meinung von

Bin ich froh, dass wir diesen Film sehen durften! Eigentlich war, so erzählte man uns bei der Sneak im Streit's (†), ein anderer Film geplant, der wurde jedoch irrtümlich an ein falsches Kino geschickt. Also hat sich das Streit's ans Rohr gehängt und man wollte uns einen Film mit Sarah Jessica Parker andrehen. Da buhte das gesamte Publikum, als wir das hörten. Diese Reaktion war natürlich vorherzusehen, deshalb hat man dann aus dem Abaton die Presse-Kopie von In guten Händen ergattert. Danke! Die deutschen Untertitel störten zwar, aber wir hatten dafür immerhin einen tollen Film.

In guten Händen ist nicht nur die Geschichte der Erfindung des Vibrators. Es ist auch die Geschichte der Unterdrückung der Frauen und wie sich einige, hier in Form von Charlotte, aufbegehren. Damals muss das Eheleben arg vertrocknet und steif gewesen sein. Das sehen wir auch an den ungelenken Versuchen Mortimers, sich an Emily ranzumachen. Ach, "ranmachen" ist ein viel zu wildes Wort für das Verhalten Mortimers. Schließlich sehen wir wie die Frau an sich zu der Zeit angesehen war. Sie ist unzufrieden, besser: unbefriedigt. Nein, sie ist krank. Da man dieses Verhalten nicht richtig benennen kann — oder will —, wird es eben Hysterie genannt.

Immerhin hatte Dr. Dalrymple eine Art Behandlung für diese Frauen. Was für uns urkomisch wirkt, nimmt der Doktor sehr ernst. Auch Mortimer glaubt daran, dass er mit seiner Behandlung den Frauen Genesung verschafft.

Leicht hätte das Thema umkippen und ins Lächerliche stürzen können, doch Regisseurin Tanya Wexler bringt viel Ernsthaftigkeit in den Film hinein. Dennoch muss man ständig herzhaft lachen. Den obligatorischen "komischen Kauz" in der Komödie gibt Rupert Everett als stinkreicher Erfinder, der sogar den Telefonsex ersinnt. Aber natürlich auch Hauptdarsteller Hugh Dancy ist herrlich britisch, verschlossen und unfreiwillig komisch.

Eine sehr schöne Komödie mit ernstem Unterton, nämlich der Geschichte der Emanzipation der Frauen — gesellschaftlich und sexuell. Maggie Gyllenhaal spielt die aufbrausende, forsche, ungestüme junge Frau wie immer überzeugend, bleibt aber doch eher in der zweiten Reihe. Die erste Reihe wird von Dancy, Pryce und Everett besetzt.

In guten Händen ist ein Film, der von der reichhaltigen Kulisse, den Kostümen und den Dialogen lebt. Eine kauzige Story gemischt mit echter Geschichte. Alles verpackt in ein Wohlfühlpaket, so dass ich den Film jedem, sogar meinen Eltern, empfehlen kann. Ich habe mich sehr gut amüsiert und ich denke, ich habe das Publikum im Streit's noch nie so klatschen und jubeln gehört, wie nach diesem Film. Also Anschaubefehl.

Mortimer Grandville gab es wirklich und er hat 1880 tatsächlich das erste taugliche "Massagegerät" erfunden. Wenn der Abspann läuft, sitzen bleiben! Ihr lernt noch was ...