Filmplakat Die Akte Odessa

8/10

"Völker sind nicht böse, nur einzelne Menschen sind es. Es gibt keine Kollektivschuld." — Die Akte Odessa, 1974

Die Akte Odessa

Besprechung

Zwanzig Jahre nach Kriegsende bekommt der Hamburger Journalist Peter Miller (Jon Voight) durch Zufall eine dicke Akten in die Hände. Darin hat ein Mann, der sich selbst vergiftet hat, sein Tagebuch geführt. Samuel Tauber war Jude und er beschreibt in seinem Tagebuch die Gräueltaten, die er und viele andere Juden im Konzentrationslager in Riga erdulden musste. Tauber beschreibt auch wie grausam und bestialisch der Leiter des Lagers war. Eduard Roschmann (Maximilian Schell) hat 80.000 Juden in den Tod geschickt.

Von den beschriebenen Ereignissen ergriffen macht sich Miller daran Roschmann ausfindig zu machen. Er will darüber schreiben, aber sowohl sein Chef, als auch ein Freund bei der Polizei raten ihm davon ab. Selbst seine Mutter (Maria Schell) sagt, dass sich niemand mehr für das Geschehene von damals interessiert. Miller forscht nach. Dabei bekommt er auch von den Behörden Steine in den Weg gelegt – und er wird verprügelt.

Miller macht sich auf den Weg nach Wien, wo er den Nazi-Jäger Simon Wiesenthal (Shmuel Rodensky) ausfindig macht. Der gewährt ihm tatsächlich ein Gespräch. Wiesenthal klärt Miller auf. Was der alte Tauber beschrieben hat, eine Geheimorganisation von Alt-Nazis, dabei handelt es sich um die Odessa – die Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen. Mit seinem Wissen macht sich Miller auf den Weg nach Hause, wird aber vom israelischen Geheimdienst abgefangen. Der überzeugt Miller sich als verdeckter Ermittler in die Odessa einschleusen zu lassen. Papiere werden gefälscht und Miller wird trainiert ein ehemaliger Nazi zu sein. So hofft er an Roschmann heran zukommen. Ein gefährliches Unternehmen.

Meinung von

Autor von Die Akte Odessa ist Frederick Forsyth, der nach eigenen Angaben Agent beim MI6 war. Forsyth war Jetpilot, Journalist und Schriftsteller. Seine beiden ersten Romane Der Schakal und Die Akte Odessa basieren auf wahren Begebenheiten. Zumindest haben sie echte Ereignisse und Personen als Grundlage. Hinzu kommt die kreative Freiheit eines Schriftstellers.

Die Akte Odessa startet mit einem Camp in Israel im September 1963. Die Israelis wissen davon, dass die Ägypter Langstreckenraketen haben, mit denen sie ganz Israel auslöschen können. Der ägyptische Präsident Nasser hat 400 Raketen, die nur darauf warten abgefeuert zu werden. Das sind die Vorbereitungen für den Sechstagekrieg 1967. Den Ägyptern fehlen elektronische Lenksysteme, die in Deutschland produziert werden. Doch die Deutschen wissen nichts davon. Zumindest nicht die Techniker. Die Wissenschaftler hinter dem System wissen das sehr wohl. Nasser hat die Raketenwissenschaftler Hitlers angeheuert. In dieses Wespennest stößt dann Peter Miller.

Es ist schön zu sehen, dass ein internationaler Film in Hamburg gedreht wurde. Leider ist von dem Gezeigten kaum noch etwas wieder zu erkennen. Lustig sind dann die Dinge, die man erkennt. Miller fährt ganz am Anfang die Mönckebergstraße entlang. Und fährt und fährt und fährt. So lang ist die gar nicht. Der alte Tauber hat irgendwo unten am Hafen gewohnt, aber bei Nacht schaut das anders aus und von der Innenstadt ist das auch etwas weiter weg. Am skurrilsten fand ich jedoch, dass Millers Freundin Sigi (Mary Tamm) ihren Heimweg von der Großen Freiheit nach Hause antritt und dabei durch den Alten Elbtunnel geht. Da kommt sie aber am anderen Ende ziemlich im Nirgendwo heraus.

Mal von der Hamburg-Nostalgie abgesehen ist Film echt spannend. Die Beschreibungen aus dem Konzentrationslager sind schrecklich. Das ist nichts für schwache Nerven. Ebenfalls schrecklich ist, dass niemand von den Gräueltaten von vor 20 Jahren hören will. Das verkauft sich nicht, sagt der Herausgeber des fiktiven "Komet Magazins" – wohl eine Anspielung an den Stern. Doch neben echtem Desinteresse ist da vor allem ein starkes Interesse nichts über die Odessa zu verraten.

Es gibt die Szene, wo Miller sich auf einer Versammlung der "Division Siegfried" einschleicht. – Übrigens war hier ganz klar, dass das in Bayern gedreht wurde und nicht in Hamburg! – Ein Saal voll alter Männer. Bierkrüge gehen um. Als plötzlich alle stramm aufstehen und der Hetzrede von einem gewissen Greifer (Günter Meisner) lauschen. Da wird klar: Die Nazis sind 1945 nicht verschwunden. Sie sind noch in großer Zahl vorhanden – und noch schlimmer, sie bekleiden viele hohe Ämter. Da sind Politiker, hohe Beamte, Polizisten und auch Großindustrielle. Das zu sehen ist schon extrem unangenehm. Es ist aber auch ein Stück deutscher Geschichte. Natürlich waren die wichtigen Ämter nach dem Krieg noch durch Nazis besetzt. Wer sollte die auch sonst ausfüllen?

Der Film hat unter der Regie von Ronald Neame (Sein größer Bluff, Die Höllenfahrt der Poseidon) ein zackiges Tempo zum Anfang. Als Miller dann jedoch in den Untergrund geht, um zu einem Altnazi zu werden, da verliert der Streifen leider sehr an Geschwindigkeit und Pepp. Von Maximilian Schell sieht man kaum etwas. Er erscheint als Roschmann in Rückblenden. Dann ziemlich am Ende taucht er doch auf. Miller kann ihn ausfindig machen. Wenn Schell dann redet, läuft es einem kalt den Rücken runter. Der Schauspieler aus Österreich hatte eine hochnäsige Aussprache, die ihm in dieser Rolle sehr hilft. Roschmann ist überzeugt, dass er nichts Unrechtes getan hat. Er hat Befehle ausgeführt. Na und? Die Zahlen stimmen eh alle nicht. – Was für ein Arschloch.

Jon Voight mag ich eigentlich nicht so gerne. Hier gefällt er jedoch. Er füllt die Rolle gut aus. Wir sehen übrigens viele deutsche Schauspieler, wie zum Beispiel einen jungen Günter Strack oder einen Klaus Löwitsch. Die Akte Odessa ist übrigens der einzige Film, in dem die Geschwister Schell beide auftreten.

Die Bilder sind etwas angestaubt, eben typisch 70er. Dennoch ist die Geschichte spannend und man möchte wissen wie es ausgeht. Am Ende gibt es sogar noch einen nicht erwarteten Twist.